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Wie Linke die AfD stärken

Die rechtspopulistische Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) sorgt für Aufsehen, vor allem jetzt, da in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Wahlen anstehen. Umfragen zufolge wird sie in Mecklenburg-Vorpommern mit 21 Prozent der Wählerstimmen drittstärkste Kraft im Landtag hinter SPD und CDU. Landessprecher und Spitzenkandidat Leif-Erik Holm rechnet mit mehr, schließlich hätten Rechtspopulisten bislang meist deutlich höhere Ergebnisse eingefahren als vorhergesagt. »Wir hoffen, dass wir stärkste Partei werden«, es bestehe die reelle Chance dafür, sagte er kürzlich selbstbewusst in einem Interview.

»Das Beste, was Deutschland passieren konnte«

Offenbar geht die bürgerliche Journaille auch davon aus, dass die AfD in der politischen Landschaft der Bundesrepublik auch langfristig eine Rolle spielen wird. Und so bagatellisiert beispielsweise Der Tagesspiegel ihre Positionen. »Angesichts dieser Krisenzeiten, Zeiten von Krieg und globalen Flüchtlingswanderungen«, sei die AfD noch das Beste, was Deutschland passieren konnte, war dort letzten Samstag zu lesen. »Schaut man sich um in Europa, in Frankreich, in den Niederlanden, in Österreich, dann ist die AfD unter den rechtspopulistischen Parteien womöglich die schwächste.« Die Schwäche liege darin, dass sie wisse, sie kann nicht zu radikal werden, wenn sie sich etablieren wolle. Langfristig werde sie harmloser, als sie zurzeit erscheine.

Dass dem tatsächlich so sein wird, kann getrost bezweifelt werden. Der Autor im Tagesspiegel stellt selbst fest, dass die AfD ihre Kraft scheinbar aus etwas anderem ziehen muss als dem Unterlassen der politischen Klasse. Die große Koalition habe alle Sicherheitspakete verschärft, heißt es dort weiter, Deutschland habe die härteste Asylgesetzgebung seit langer Zeit und es gebe kaum Staaten, die von der Bundesrepublik nicht als sicheres Herkunftsland eingestuft wurden. Zu guter Letzt sei der große Strom an Flüchtlingen abgeebbt. Dennoch gewinnt die AfD an Einfluss und Anhängerschaft.

AfD als »Partei des kleines Mannes«

Wer die potentiellen Wähler der AfD sind, haben  kürzlich Sozialwissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin untersucht. Die Partei zieht der Studie zufolge »derzeit vor allem Männer, BürgerInnen in den neuen Bundesländern, Personen mit geringer und mittlerer Bildung, ArbeiterInnen und Arbeitslose sowie junge Personen unter 30 Jahren an«.

Offensichtlich gelingt der AfD, aus dem Spektrum der Nichtwähler Menschen an sich zu binden und zum Urnengang zu bewegen. 20 Prozent von denen, die bei der Bundestagswahl 2013 ihre Stimme nicht abgegeben haben, sehen sich heute als AfD-Anhänger. Darüber hinaus jagt sie vor allem rechten Parteien Stimmen ab genauso wie linken Parteien, was darauf hindeutet, dass sie für Protestwähler die erste Wahl darstellt. Die Linkspartei wird bei der nächsten Wahl wahrscheinlich neun Prozent der Stimmen weniger bekommen und rechtsextreme Parteien wie die NPD etwa 32 Prozent weniger. Ein Grund zu Freude ist dieser Befund allerdings nicht: In absoluten Zahlen ausgedrückt könnte die Linkspartei bei der nächsten Bundestagswahl mit 338.000 Wählerstimmen etwa doppelt so viele an die AfD verlieren wie die NPD.

Steigender Zuspruch unter Arbeitern und Arbeitslosen

Bedenklich ist, dass es ihr trotz ihres Programms gelingt, sich als »Partei des kleines Mannes« zu präsentieren. Zwischen 2014 stieg ihr Rückhalt der Studie zufolge unter Arbeitern von zwei auf elf Prozent, unter Arbeitslosen von einem auf 15 Prozent. »Zudem scheint sie zunehmend für jüngere Menschen attraktiv zu sein«, sagt Studienautorin Karolina Fetz.

Diese Entwicklung zeigt doch etwas von Schizophrenie: Die Positionen der AfD werden von Arbeitern und Arbeitslosen unterstützt, obwohl sie in besonderer Weise von dieser Partei bedroht sind. So spricht sich die AfD gegen den Mindestlohn aus, will Empfänger von Hartz-IV in Arbeit zu Niedriglöhnen pressen und im Gegenzug will sie vor allem Wohlhabende steuerlich entlasten.

Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion längst überfällig, warum es Linken kaum noch gelingt, sich bei Arbeitern und Arbeitslosen Gehör zu verschaffen, deren Interessen sie eigentlich vertreten wollen.

Junge Linke haben Bezug zur Unterschicht verloren

Wolfgang Merkel, Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), hat in einem Interview mit Zeit Campus im Juni darauf hingewiesen, dass vor allem junge Linke den Bezug zur »Unterschicht« verloren hätten. »Die junge, intellektuelle Linke hat den Bezug zu der Unterklasse im eigenen Land fast gänzlich verloren. Da gibt es vonseiten der Gebildeten weder eine Sensibilität noch eine Aufmerksamkeit und schon gar keine Verbindungen mehr.« Bei ihnen sei die Frage, wie sich gesellschaftlicher Wohlstand gerecht verteilen lässt, »fast gänzlich in den Hintergrund getreten«. Stattdessen dominierten kulturelle und identitätspolitische Themen, aber »eben auf dieser Ebene unterscheiden sich die Milieus der hoch und weniger Gebildeten deutlich voneinander«. Aus dieser Zwickmühle kommen sie auch nicht heraus, denn kritische Diskurse würden schlicht nicht mehr geführt.

In der Praxis lässt sich das leicht bestätigt finden: In den meisten Gruppen und Strömungen der »Bewegungslinken« geben Linke den Ton an, die der Mittelschicht entstammen, und in linken Milieus herrscht ein akademisierendes Verhalten vor. Arbeiterkinder oder junge Menschen ohne höheren Bildungsabschluss haben es nicht nur schwer, hier Fuß zu fassen, sie werden oftmals geradezu verachtet. Dieses »Linkssein« fußt auf einer Mischung aus anerzogenem schlechten Gewissen und der Rebellion gegen die nicht radikal genug eingestellten Eltern, schrieb Christian Baron im Neuen Deutschland (25.06.2016). Weil sie in Verhältnissen aufgewachsen seien, »in denen sie keinen Kontakt zu Dialekt sprechenden, von einer Karriere als Rapper träumenden Hauptschülern hatten, wirkt sich die Lebenswelt der sogenannten Unterschicht kaum auf linkes Engagement aus«. Dieser Trend ist schon 2009 in der in Antifa-Kreisen kursierenden Broschüre »Mit geballter Faust in der Tasche. Klassenkonflikte in der Linken« beschrieben worden.

»Linke« aus der Mittelschicht haben wenig Interesse an Parteien

Dauerhaftes politisches Engagement, kann man von diesen, sich als links bezeichnenden Intellektuellen nicht mehr erwarten, so Merkel. Deswegen stehen sie oftmals auch Parteien feindlich gegenüber. Die Tendenz gehe »dagegen zur kurzfristigen und aktiven Beteiligung in zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Amnesty International, Attac oder in Umweltinitiativen«. Auch im Internet würden sie sich bisweilen »engagieren«.

Lösungen, die diese Bewegungen anbieten, widerspiegeln oftmals nur die Interessen der Mittelschichten, Bedürfnisse der sogenannten Unterschicht gehen dagegen unter. Linke Parteien haben lange versucht, sich an diese außerparlamentarischen Bewegungen anzuheften und deren Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme zu übernehmen. Auf der Strecke blieb dabei oft auch der kritische Blick für die Interessen der unterschiedlichen Klassen und Schichten. So blieb auch unbemerkt, dass man immer mehr die Mittelschichten in den Fokus nahm und den Kontakt zu den anderen verlor.

Der AfD gelingt es nun mit Demagogie, die Räume einzunehmen und die Teile der Bevölkerung für sich zu gewinnen, die von den linken Parteien verlassen wurden.

Zuerst veröffentlicht in: Unsere Zeit vom 2. September 2016