Sächsisches Bildungssystem erzeugt Armut

Die Situation im Landkreis Görlitz im Osten des Freistaates Sachsen ist recht widersprüchlich. Auf der einen Seite verlassen immer mehr Schüler die Schule ohne Abschluss und auf der anderen Seite beklagt die Industrie- und Handelskammer, dass in den nächsten Jahren immer mehr Lehrstellen unbesetzt bleiben werden, weil es keine geeigneten Bewerber gäbe. Im Schuljahr 2010/11 bekam immerhin jeder neunte Schüler keinen Abschluss. Dieses Ergebnis liegt weit über dem Bundesdurchschnitt und erreichte den höchsten Stand seit zehn Jahren.

Ursache ist das sächsische Bildungssystem

Bildungsexperten sehen die Ursache im sächsischen Schulsystem. Sowohl die „Chancenspiegel“-Studie der Bertelsmann-Stiftung als auch der „Bildungsbericht 2012“ des Bundesbildungsministeriums zeigen gravierende Mängel auf. Das sächsische Schulsystem ist nur für die Starken gemacht. Denn nur wer dem normalen Stundenplan folgen kann, darf in Sachsen eine Mittelschule oder eine weiterführende Schule besuchen. Diese verfügen aber kaum über Geld und Personal für die Betreuung von Kindern, deren Bedürfnisse über das „normale“ Maß hinausgehen. Auffällige Kinder werden in Sachsen schnell zum Problemfall.

 Arme Kinder sind schlechter in der Schule

Hauptproblem ist immer noch, dass der Bildungserfolg stark von der sozialen Herkunft abhängt. Die „Chancenspiegel“-Studie der Bertelsmann-Stiftung stellt dazu fest, dass Kinder aus reicheren Familien eine etwa dreimal so hohe Chance als ärmere Kinder haben, ein Gymnasium zu besuchen. Im Jahr 2009 haben etwa 29 Prozent der Kinder im Landkreis Görlitz in Armutsverhältnissen gelebt. Bis heute hat sich daran kaum etwas geändert. Diese Kinder sind in besonderem Maß von Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen, weil ihnen einfach das nötige Geld fehlt. So hebt zum Beispiel der Bildungsbericht 2012 der Bundesregierung die Bedeutung des Nachhilfeunterrichts hervor. Pro Woche werden im Durchschnitt allein für Sprachen, Mathematik und für die Naturwissenschaften zwei Stunden Nachhilfeunterricht benötigt – den sich Kinder in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften aber nicht leisten können. Ihnen steht im Monat ungefähr ein Euro für Bildung im Regelsatz zur Verfügung.

Sachsen setzt zu sehr auf die Förderschulen

Ein weiteres Problem besteht darin, dass der Freistaat immer noch sehr stark auf die Förderschulen setzt. Der Bildungsexperte Ulf Preuss-Lausitz stellt in einem Gutachten für die sächsischen Landtagsfraktion der Grünen fest, dass der Freistaat damit sogar gegen geltendes Recht verstößt. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Förderbedarf festschreibt, ist auch in Deutschland geltendes Recht. Aber der Freistaat verweigert sich der Umsetzung.

Anstieg der Förderquote fachlich nicht zu begründen

Der Anteil der Kinder mit Förderbedarf ist in den letzten zehn Jahren stark angestiegen von 5,5 Prozent auf 8,4 Prozent der Schüler in den Klassenstufen 1 bis 10. Fachlich sei das aber nicht zu begründen, schreibt Preuss-Lausitz. Es würde regelrecht aussortiert: Kinder mit „unnormalen“ Verhaltens- und Lernweisen müssen die Regelschule verlassen. Am meisten sind Kinder aus einkommensschwächeren Familien betroffen. Es wird kaum differenziert beim eigentlichen Förderbedarf. Etwa 60 Prozent der Schüler mit Förderbedarf sind an Schulen mit dem Schwerpunkt „Lernen“. Diese seien bekannt als „Dummenschulen“. Kindern werden so die Zukunftschancen genommen. Nur etwa elf Prozent der Förderschüler würden eine abgespeckte Version des Hauptschulabschlusses schaffen; der Rest bleibt ohne Abschluss. Das Lernniveau würde auf ein so niedriges Niveau heruntergefahren, dass die Schüler kaum Anreize erhalten. Auf dem Arbeitsmarkt haben sie so gut wie keine Chancen. Im Bildungsbericht 2012 heißt es, dass diese Gruppe besonders häufig von Arbeitslosigkeit ist oder sich besonders häufig in prekären Arbeitsverhältnissen wiederfinden.

Im sozialen Bereich wird weiter gekürzt

Die Politik müsse bessere Bedingungen schaffen, damit eine erfolgreiche Bildungsbiografie gelingen kann, sagt der Paritätische Wohlfahrtsverband Sachsen. Es sei zu spät, in der Schule mit Sonderprogrammen anzusetzen. Stattdessen wäre es nötig, bei den Krippen und Kindergärten anzufangen. Mit dem Sächsischen Bildungsplan seien zwar gute Vorgaben gemacht worden. Allerdings gäbe es zu wenig Personal, um die Vorgaben erfüllen zu können. Für alle Bildungsbereiche von der Krippe bis zur Universität und für die Jugendarbeit vor Ort müsse das Land die Finanzierung sicherstellen. Besonders wichtig sei die Jugendarbeit im ländlichen Bereich, um überhaupt Angebote für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Allerdings seien die Mittel im Doppelhaushalt 2011/12 gekürzt worden. Die Sozialverbände gehen davon aus, dass die Mittel im Landeshaushalt ab 2013 noch weiter gekürzt werden.