Gegen den neuen Rahmenlehrplan von Berlin und Brandenburg sprechen sich Elternvertreter des Pückler-Gymnasiums in Cottbus aus. Letzten Freitag haben sie im Potsdamer Bildungsministerium einen Protestbrief überreicht. Ihrer Meinung nach ist der neue Rahmenlehrplan nichts anderes ist als eine weitere Sparmaßnahme im Bildungsbereich. Empfangen wurden sie von hochrangigen Beamten.
Integrative Fächer als Sparmaßnahme wahrgenommen
Im November hatten Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres und Brandenburgs Bildungsminister Günter Baaske (SPD) den neuen Rahmenlehrplan für die Schulklassen 1 bis 10 unterzeichnet. Ab dem Schuljahr 2016/17 soll er den Unterricht bestimmen. Problematisch an diesem Plan sei, so die Elternvertreter, dass vor allem in der fünften und sechsten Klasse Fächer zusammengelegt und „integrativ“ unterrichtet werden sollen. Betroffen sind die Fächer Physik, Chemie und Biologie, die gemeinsam im Fach „Naturwissenschaften“ zusammengefasst werden genauso wie die Fächer Geschichte, Politik und Geografie im integrativen Fach „Gesellschaftswissenschaften“. Dies geschehe aber ohne echte pädagogische oder didaktische Begründung, sagte Günter Knothe, einer der Elternvertreter und Vorsitzender des Kreisschulbeirates im Landkreis Spree-Neiße, im Gespräch mit Unsere Zeit. „Insgeheim wird zugegeben, dass damit Lehrermangel und Ausfallstunden kaschiert werden sollen.“
Einer solchen Argumentation trat Bildungsminister Baaske schon im Dezember in einem Interview mit der Märkischen Allgemeinen (1.12.15) offiziell entgegen. Dort sagte er, mit dem neuen Rahmenlehrplan würden nur bundesweite Standards umgesetzt und die Lehrinhalte würden an die Komplexität der Welt angepasst. Außerdem bleibe die „Schüler-Lehrer-Relation“ gleich. Darüber hinaus machte Baaske deutlich, dass nicht die Politik die Idee hatte, Fächer zusammenzulegen, diese sei vielmehr von Pädagogen und Wissenschaftlern gekommen.
Wissenschaftler: Rahmenlehrplan hat gravierende Mängel
Tatsächlich zeigten sich zahlreiche Wissenschaftler im Anhörungsprozess angetan von dieser Idee, da so die Geschichte beispielsweise besser an die Lebenswelt der Kinder angebunden werden könnte. Doch sie wiesen auch auf erhebliche Nachteile hin. So schrieb Markus Kübler von der Universität Schaffhausen, dass die Gefahr bestehe, der Unterrichtsstoff könne „theoretisch“ einseitig auf wirtschaftlich notwendige Themen eingeschränkt werden. Geschichtliches Lernen könne so zum Beispiel in den Hintergrund geraten und der Fokus vor allem auf wirtschaftliche Themen gelegt werden.
Gegen diese Tendenz trat auch der Verband der Geschichtslehrer auf – ohne wirklich gehört zu werden. Diese warfen den beiden Landesregierungen im Frühjahr 2015 vor, „den eigenständigen Geschichtsunterricht in der Primarstufe zu beseitigen, das Unterrichtsfach zu entprofessionalisieren und im Ensemble der gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichtsfächer weiter zu marginalisieren“. Damit würde der „seit Anfang der 90er-Jahre begonnene“ Trend weiter verstärkt, den Geschichtsunterricht in Brandenburg und jetzt auch in Berlin zurückzudrängen. Zwar gäben die Verantwortlichen vor, „die historische Bildung an den Schulen beider Bundesländer“ zu modernisieren. Tatsache sei aber, dass das vorgelegte Konzept fatale „Folgen für die Erinnerungskultur und für die Herausbildung eines Geschichtsbewusstseins der Kinder und Jugendlichen“ habe. Die inhaltliche Beliebigkeit und Unklarheit sei beispiellos in der Bundesrepublik.
Ein weiteres Problem, dass Wissenschaftler sahen, ist die Ausbildung der Lehrer. Nach Kübler müssten hier die fachliche Grundausbildung und Didaktik sichergestellt werden. Immerhin müssten die Lehrer nicht nur ein sondern drei Fächer fachlich kompetent unterrichten können. Und die Lehrer seien dazu gar nicht in der Lage, bemerkte Monika Fenn von der Universität Potsdam. Die rot-rote Landesregierung hätte schon vor Konzipierung des neuen Rahmenlehrplans auf eine Änderung der Studienordnung für die Lehrerausbildung gedrungen, was sich jetzt negativ auswirke. So könnten die Studenten lediglich ein Fach aus dem gesellschafts- oder naturwissenschaftlichen Bereich studieren, obwohl sie später alle drei unterrichten können müssten. Außerdem habe sich die Ausbildung „fachlich und fachdidaktisch“ verschlechtert.
Weiterbildung der Lehrer stockt
Um die Lehrer auf die neue Situation vorzubereiten, schicken die beiden Landesregierungen 400 sogenannte Schulberater in die Schulen. Doch im Gespräch mit einigen Direktoren hätte sich gezeigt, dass die „Ausbildung“ bereits stockt, sagte Knothe. Einige Lehrer hätten demnach die Lehrgänge bereits verlassen, weil sie „die Sinnlosigkeit des Vorhabens“ eingesehen hätten. „Man kann einem Biologielehrer eben nicht in wenigen Stunden das Fach Physik beibringen und umgekehrt.“
Im Gespräch mit Lehrern und Direktoren von sieben Schulen hätte er niemanden getroffen, der die Reform gut geheißen hätte, merkte Knothe an. Die Reaktionen der Eltern hätten ähnlich ausgesehen. Dass die Landesregierung darauf keine Rücksicht nehme, hätte man auch dadurch gemerkt, dass zwar versprochen wurde, die Elternvertretungen aktiv mit einzubeziehen. Aber die Endfassung des Textes wurde ohne Kenntnis des Landeselternrates in Kraft gesetzt. Doch vom Tisch sei die Angelegenheit noch nicht, gab sich Knothe sicher. In den nächsten Wochen steht das Thema auf der Tagesordnung der Elternräte in Cottbus und im Landkreis Spree-Neiße.
Zuerst veröffentlicht in: Unsere Zeit vom 15. Januar
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