Presse ruft zur Einheit gegen Putin. Angeblicher Richtungsstreit zwischen Merkel und Steinmeier

Die deutsche Presse fordert ein härteres Vorgehen gegen Russland. In den letzten Wochen wurde deshalb ein angeblicher Richtungsstreit innerhalb der Bundesregierung thematisiert. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine harte Linie gegen Russland vertrete, würde Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf Russland zugehen. CSU-Chef Horst Seehofer rief über die Presse Steinmeiner auf, keine andere Außenpolitik zu betreiben als die Kanzlerin. Trotz aller Dementi der Bundesregierung hält sich das Gerücht weiterhin.

Bei manchem Blatt schrillten die Alarmglocken als der ehemalige Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) als nunmehr Vorsitzender des deutsch-russischen Forums in einem Interview sagte, wir könnten im Verhältnis zu Russland wieder vorwärts kommen, wenn die Krimfrage völkerrechtlich hinnehmbar geregelt werde. Immerhin würden wir ohne Russland langfristig keine gute wirtschaftliche Entwicklung in Europa haben und auch keine tragfähige Sicherheitsarchitektur.

Platzecks Vorstoß klinge allerdings nur nach Befriedung, sei in Wirklichkeit sogar ein Freibrief für weitere Annexionen Russlands, meinten daraufhin Peter Dausen und Michael Thumann in der Zeit. Es sei eine Scheinlösung und verrate eine Sehnsucht. Sie lege nahe, dass man zur alten Normalität zurückkehren könnte, wenn man nur ein wenig sanfter mit Russland umginge, meinen beide. Platzecks Vorstoß würde suggerieren, dass die deutsche Ostpolitik alten Stils noch möglich sei. Aber das sei sie nicht, weil sich Russlands Politik verändert habe.

Bernd Ulrich, ein Kollege der beiden genannten Autoren, meint, Platzecks Vorschlag bedeute in der Konsequenz, Putin einen Stift in die Hand zu drücken, mit dem er auf der Landkarte frei seine Einflusszonen einzeichnen könne. Es sei wirres Denken und moralisch indiskutabel.

Ulrich stellt die Frage: Muss nicht bald damit gerechnet werden, dass der sozialdemokratische Außenminister aus der gemeinsamen Front ausschert, wenn schon ein ehemals führendes SPD-Mitglied wie Platzeck und diverse andere SPD-Größen gegen die Politik der Regierung anreden?

In der SPD gebe es ein generelles Problem damit, in der russischen Politik eine Aggression zu sehen, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Je älter ein Genosse sei, umso beschwichtigender sei seine Haltung. Jenseits der siebzig würde man in der Partei niemanden finden, der überhaupt von russischer Aggression spricht.

Offenbar wird die SPD auch von den Christdemokraten misstrauisch beäugt, weiß die Zeitung zu berichten. Steinmeier werde in Teilen der Union schlicht nicht geglaubt, dass sich sein Russland-Bild tatsächlich geändert habe. Auf Steinmeier II laste immer noch Steinmeier I, der in seiner ersten Amtszeit unter Gerhard Schröder glaubte, Russland in eine Partnerschaft einbeziehen zu können.

Die Einheit des Westens im Auftreten gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sei in Gefahr, meldete das Handelsblatt. Während Merkel in Sydney eine harsche Rede hielt und Putins Politik als Gefahr für den Weltfrieden bezeichnete, habe Steinmeier erneut mit Moskau und Kiew verhandelt. Moskau sei inzwischen etwas irritiert über die unterschiedlichen Töne, heißt es in dem Bericht: Merkel treffe mit ihren Worten vor allem die Tonlage der USA, Polens und der baltischen Staaten. Steinmeiers Kurs werde dagegen vor allem von südosteuropäischen Ländern, Österreich und Italien unterstützt, die wie Deutschland ein starkes Russland-Geschäft haben.

Womöglich stehe Steinmeier dieser Tage vor den Trümmern der vom legendären SPD-Bundeskanzler Willy Brandt erdachten Ostpolitik. Dieser habe durch Entspannung, Dialog und Ausgleich Mauern zum Einstürzen bringen wollen. Doch die Front zwischen Russland und dem Westen sei inzwischen verhärtet. Die deutschen Hardliner haben ihr Übriges dazu getan: Unions-Fraktionsvize im Bundestag Andreas Schockenhoff wirft Steinmeier vor, er wolle die Situation gesundbeten, und legt Platzeck den Rücktritt nahe. Die Grünen haben gemeinsam mit CDU/CSU den von Schröder und Putin initiierten „Petersburger Dialog“ so torpediert, dass er in diesem Jahr abgesagt werden musste.

Deutschland müsse nun in der Ostpolitik zusammenstehen, schreiben die Zeit-Autoren. Es sei heute keine innerdeutsche Frage mehr sondern eine von europäischer Bedeutung. Bleibe Deutschland nicht geschlossen, werde wohl auch Europa auseinandergehen und die Einheit des Westens wäre zerstört. Wladimir Putin hätte gewonnen. SPD-Linke wie Platzeck würden versuchen, einen kleinen parteipolitischen Vorteil über die nationale und europäische Verantwortung zu stellen.

Die Rufe zur Einheit gegen Russland haben einen tieferen Sinn. Denn es sind nicht nur einzelne Politiker, die gegen eine zunehmende Konfrontation mit Russland auftreten. Die Wirtschaft fürchtet zunehmend um ihr Russland-Geschäft.  „Die stärkere Hinwendung des Landes nach Asien bereitet uns große Sorge“, sagte Michael Harms, Vorstandsvorsitzender der deutsch-russischen Auslandshandelskammer (AHK). Halte dieser Trend an, könne er das deutsche Geschäft in Russland massiv schädigen.

Die westlichen Sanktionen hätten dazu geführt, dass sich das Verhalten der russischen Kunden stark verändert habe, sagte Georges Barbey, Generaldirektor des Chemiekonzerns Lanxess. Russische Staatsunternehmen würden vielmehr versuchen, in Russland zu kaufen. Wenn es dort kein Angebot gebe, suchen sie in China oder in Südamerika. Erst wenn es auch dort kein Angebot gebe, dürften sie in der EU oder in den USA kaufen. Zunehmend würden deutsche Produkte durch chinesische ersetzt.

Es sind aber auch die südosteuropäischen Länder, die scheinbar eine demonstrativ zur Schau gestellte Einheit des Westens notwendig machen. Sie sind kulturell und wirtschaftlich stark mit Russland verflochten und drohen aus der westlichen Phalanx auszubrechen. Immerhin wird in der Zeit zugegeben, dass in etlichen Ländern die EU diskreditiert ist, weil viele der pro-europäischen Akteure korrupt sind. Diese „offene Flanke“ gilt es zu sichern.

 

Bild: Tjebbe van Tijen/flickr.com (CC BY-ND 2.0)