Wittenberge ist eine kleine Stadt in Brandenburg. Zur iherer besten Zeit lebten dort rund 33.000 Menschen, nach 1989/90 verließ etwa die Häfte der Bevölkerung den Ort. Drei große Betriebe gab es dort; alle wurden durch die Treuhandanstalt geschlossen. Vor einigen Jahren gab es eine groß angelegte Untersuchung, wie sich die Gesellschaft in Umbruchszeiten an solchen Orten entwickeln. Das Projekt hieß “Social Capital – Über Leben im Umbruch”. Drei Jahre lang waren Sozialwissenschaftler und Ethnologen vor Ort und führten zahlreiche Interviews mit den Bewohnern durch. Die Untersuchung kostete dem Staat einen siebenstelligen Betrag. Die Ergebnisse sind banal.
Klaus Huhn begiebt sich auf den Weg nach Wittenberge, um selbst zu recherchieren. Er kommt letztendlich zu dem Ergebnis, dass in der Untersuchung nur heiße Luft produziert wurde, die dem Steuerzahler teuer zu stehen bekommt. Im Gegensatz zu den Wissenschaftlern benennt er auch Ursachen für die Strukturänderungen.
Das Wirken der Treuhandanstalt
Heute ist es ein offenes Geheimnis, dass das Gebiet der ehemaligen DDR nach der Wende deindustrialisert wurde. Die Redaktion von Frontal21 berichtete in einem längeren Beitrag darüber. Der damalige Treuhandchef Karsten Rohwedder hatte gesagt:
Es war die Politik der Treuhandanstalt, die Millionen Ostdeutsche ihren Arbeitsplatz kostete, die wohlmeinende westdeutsche Investoren verschreckte, die ganze Regionen in den neuen Bundesländern entindustrialisierte, die Glücksritter bereicherte und den deutschen Steuerzahler noch lange Geld kosten wird.
Huhn schildert die Entwicklung des Nähmaschinenwerkes “Veritas” in Wittenberge, das zu den modernsten der Welt zählte. Über 7 Millionen Haushaltsnähmaschinen wurden dort seit dem Zweiten Weltkrieg produziert. Als das Werk bereits in Treuhänderschaft war, wurden allein im Jahr 1990 430.000 Stück verkauft.
Am 31. Juli 1991 kam die Treuhandanstalt mit der indonesischen Firma “Saytya Negara Utama” über den Verkauf überein. Herr Saly, Geschäftsführer der indonesischen Firma sicherte zu, 60 bis 80 Millionen D-Mark in das Werk zu investieren. Mit dem Unternehmen kam er überein, für das Nähmaschinenwerk eine Industriemesse in Jakarta mit 40.000 Nähmaschinen auszustatten. Die Nähmaschinen wurden geliefert, verschwanden aber in Indonesien in dunklen Kanälen. Ebenso wurden die 60-80 Millionen D-Mark nicht an die Treuhandanstalt überwiesen, woraufhin sie vom Kaufvertrag zurücktrat.
Das Geschäft war gescheitert. Eine Sanierung des Unternehmens in eigener Regie lehnte die Treuhand ab und wickelte das Unternehmen ab. Am 23. Oktober 1991 wurde dem Geschäftsführer der Firma der Abwicklungsbeschluss per Fax mitgeteilt.
Es sollte nicht der einzige Fall in der Geschichte der Treuhandanstalt bleiben, dass ein wettbewerbsfähiges Unternehmen geschlossen wurde.
Die sozialwissenschaftliche Studie
Huhn konfrontiere einige Bewohner von Wittenberge mit den Ergebnissen der Sozialstudie. Es verwundert nicht, dass sie die Hände über dem Kopf zusammenschlugen. Der Zynismus der Studie lässt sich kaum überbieten.
Beispielsweise wird behauptet, die Sorge um den Arbeitsplatz ist der Sorge um den eigenen Körper gewichen. Deshalb blüht das Geschäft mit Sonnen- und Nagelstudios, Reiki und Ayurvedamassagen. Ein-Euro-Jobber, die in der Stadt Müll auflesen sollen, finden so wenig, dass sie welchen von zuhause mitbringen müssen usw. Auch das Zählen von Geschäften, die von Vietnamesen betrieben werden, scheint für die Wissenschaftler von enormer Bedeutung gewesen zu sein.
Die mageren Ergebnisse und die teilweise haarstreubenden Ergebnisse der Studie lassen die Frage berechtigt erscheinen, wozu man solche Projekte aus öffentlichen Mitteln finanzieren muss.
Zum Buch
Das Buch stellt eine lesenswerte Abhandlung über das Leben der ehemaligen DDR dar, wie sich der gesellschaftliche Umbruch von 1989/90 konkret auf sie auswirkte, wie heute mit ihnen auch in der öffentlichen Diskussion umgegangen wird und wie für sie die Zukunft aussieht.
Klaus Huhn: Millionen für heiße Luft; 95 Seiten; ISBN: 9783360020321