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Mafiöse Strukturen bei Paketdiensten

Die in den letzten Jahren rasant gewachsene Branche der Paketzusteller ist für ihre miesen Arbeitsbedingungen bekannt: Wer aufmuckt oder sich wehrt, muss von jetzt auf gleich gehen. Inzwischen wird es immer schwerer, Leute für den Job zu finden. Deshalb bedienen sich die Unternehmen mitunter mafiöser Strukturen, um Menschen aus Osteuropa zu rekrutieren. Dies belegt ein Bericht des NDR Schleswig-Holstein (20.07.18)

Das Beispiel ist ein Subunternehmen des Paketdienstleisters Hermes. In Harrislee (Kreis Schlweswig-Holstein) betrieb es bis vor Kurzem ein Paketdepot. Vor sechs Wochen führte dann die Polizei dort eine Razzia durch. Sie ermittelt gegen den Betreiber und vier weitere Personen, denen vorgeworfen wird, illegal Fahrer aus dem Nicht-EU-Ausland eingeschleust und beschäftigt zu haben.

Miese Arbeitsbedingungen bei Paketdiensten

Das hat System, denn in der Bundesrepublik lassen sich immer weniger Fahrer finden, die zu den in der Branche üblichen Bedingungen arbeiten wollen. Pro Stunde müssen sie für den kargen Mindestlohn 15 bis 20 Pakete zustellen, was weder in Städten noch im ländlichen Raum machbar ist, so Tim Engartner, Professor für Sozialwissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main, im Interview mit dem NDR. »Und wenn dann Unwägbarkeiten auftreten, wie zum Beispiel Verkehrsunfälle, müssen sie sogar mitunter selbst dafür haften.«

Konkurrenzdruck zulasten der Paketfahrer

Die beiden Branchenführer DHL und Hermes, die auf einen Marktanteil von knapp 90 Prozent kommen, tragen den Konkurrenzkampf auf dem Rücken der Paketboten aus. Denn trotz atemberaubender Mengenzuwächse sanken die Gewinne der Unternehmen. DHL fuhr einem Bericht des Handelsblatts zufolge eine Milliarde Euro weniger ein als erwartet. Die Service-Sparte der Otto Group, zu der Hermes gehört, hatte einen Verlust von sechs Millionen Euro zu verbuchen. Für Kay Schibur, Vorstand der Otto Group, ist der Fall klar: Die Löhne sind der Kostentreiber. »70 Prozent der Hermes-Kosten gehen auf das Konto des Personals«, berichtet er. Die Paketboten verursachten 50 Prozent der Aufwendungen.

Über ein System von Subunternehmen versuchen DHL und Hermes seit Jahren, die Lohnkosten zu drücken. Subunternehmen zahlen keine Tariflöhne, »sondern wenn überhaupt das gesetzlich vorgeschriebene Minimum, den Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro brutto pro Stunde«, heißt es bei dem DGB-Projekt »Faire Mobilität«. Indem sie sogenannte Freiberufler beschäftigen, umgehen sie auch den Mindestlohn und andere Sozialstandards.

Anwerben von Osteuropäern

Inzwischen richtet sich der Blick der Paketdienstleister nach Osteuropa. Denn je weiter man Richtung Osten geht, desto billiger sind die Arbeitskräfte. [amazon_link asins=’B079Q839QN’ template=’ProductAd’ store=’lesenswuerdig-21′ marketplace=’DE’ link_id=’eb9c94d3-8db3-11e8-a828-3faf8c9119d7′]Bei Recherchen fand der NDR Schleswig-Hostein Anzeigen im Internet, die auf Russisch und Ukrainisch für Paketfahrer-Jobs in Deutschland werben. Bedingung ist ein polnisches Visum. Das bekommen sie von einem Vermittlungsbüro in Polen, welches die Ukrainer wirbt, einstellt und mit allen notwendigen Papieren versorgt. Es schickt sie dann legal zu Subunternehmen von Hermes nach Schleswig-Holstein, die sie direkt als Paketfahrer einsetzen oder an weitere Subunternehmen weitervermitteln.

Den auf diese Weise geworbenen Paketfahrern werden Löhne geboten, die mal bei 900 Euro, mal bei 1.300 Euro liegen. Davon werden ihnen mitunter 300 Euro im Monat für ein Zimmer abgezogen, dass sie sich noch mit anderen teilen müssen.

Mafiöse Strukturen

Razzien gab es auch in Thüringen und Nordrhein-Westfalen. Dort sollen Subunternehmer von Hermes Moldauer mit rumänischen Pässen versorgt und für wenig Geld als Paketfahrer beschäftigt haben. Nach Angaben des NDR schrieb die Bundespolizei, »dass die Sub-Subunternehmer ›professionelle Dokumentenfälscherwerktstätten‹ nutzten und teilweise ›auf kriminelle Netzwerke‹ zurückgriffen«.

»Mitunter kann man von mafiösen Strukturen sprechen«, sagte Tim Engartner. »Ich kann nicht erkennen, warum man da von gesetzgeberischer Seite nicht stärker einschreitet und versucht, diesen Akteuren das Handwerk zu legen.« Eine Lösung besteht für ihn darin, dass der Staat wieder stärker eingreift. »Ich könnte mir vorstellen, dass man wieder verstaatlicht und diese verschiedenen Frachtpostgesellschaften unter dem Dach der dann wieder teilverstaatlichten Deutschen Post AG zusammen führt.«

 

Zuerst veröffentlicht in: junge Welt, 23.07.2018

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