Kein Hartz IV mehr für Selbstständige?

Existenzgründern und Selbstständigen sollen offenbar das ergänzende Arbeitslosengeld II (Hartz IV) gestrichen werden. Das jedenfalls behaupten der Sozialhilferechts- und Arbeitslosenberater Harald Thomé und der Ökonom Dietrich von Hase. Gegenüber dem Onlinemagazin Telepolis bestritt das Bundesarbeitsministerium entsprechende Pläne.

Bereits im letzten Jahr war das für die Grundsicherung zuständige Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt (SPD), mit entsprechenden Äußerungen hervorgetreten. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte er, es müsse darüber nachgedacht werden, „ob sich die Bezugsdauer von Grundsicherungsleistungen für Selbständige zeitlich begrenzen lasse, besonders dann, wenn sie Angestellte haben“ … „Irgendwann muss man schwarze Zahlen schreiben oder – so weh es tut – die Selbständigkeit aufgeben. Der Steuerzahler kann nicht auf Dauer eine nicht tragfähige Geschäftsidee mitfinanzieren.“

Die Bundesagentur zeigte sich auch im Mai diesen Jahres besorgt über die Zunahme der selbstständigen Aufstocker. In den Jahren 2007 bis 2010 sei ihre Zahl um 50.000 auf nunmehr 125.000 Personen gestiegen. Etwa 85.000 von ihnen verdienen weniger als 400 Euro pro Monat und weitere 25.000 bis zu 800 Euro. Diesen riet Bundesarbeitsministerin von der Leyen in einem PR-Video vom 30.05.2012 auf youtube.com, ihre Selbstständigkeit aufzugeben. Es gäbe in Deutschland immerhin über eine Millionen offener Stellen. Dem widerspricht die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums „Solo-Selbstständige in Deutschland – Strukturen und Erwerbsverläufe“. Das DIW hat ermittelt, dass der größte Teil der sogenannten Solo-Selbstständigen „mangels anderer Beschäftigungsmöglichkeiten oder wegen Arbeitslosigkeit selbstständig geworden“ sind. Während Selbstständige mit Arbeitnehmern fast ausschließlich vom eigenen Erwerbseinkommen leben sind es immerhin etwa elf Prozent der Solo-Selbstständigen, die aufstocken müssen oder vom Einkommen der Lebenspartner zehren.

Im November 2011 veröffentlichte das Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM) das Arbeitspapier „Selbstständige in der Grundsicherung“. In diesem wird die Entwicklung der genannten Personengruppe einer statistischen Analyse unterzogen. Demnach hat sie sich verdreifacht, während die Gruppe aller Selbstständigen nur bescheiden gewachsen ist. Das IfM schließt daraus, dass sich aus der Zunahme der Selbstständigkeit nicht ableiten lässt, dass die Grundsicherung stärker in Anspruch genommen wird. Es wird der Verdacht geäußert, dass Selbstständige die Grundsicherung missbrauchen würden, um sich Marktvorteile zu sichern. Aus den analysierten Daten lässt sich das aber nicht schließen, räumt das IfM teilweise ein, denn viele Daten würden für eine wissenschaftliche Analyse fehlen. Trotz dieses Eingeständnisses endet die Studie mit einem Exkurs über die volkswirtschaftliche Schädlichkeit der Grundsicherung für Selbstständige: Das Marktgeschehen würde wesentlich verzerrt.

Kritiker weisen auf den tendenziösen Charakter des Arbeitspapiers hin. Es sei erstaunlich, sagt Dietrich von Hase, „dass die Studie bei ihrer volkswirtschaftlichen Behauptung nicht genauso auf die zehnfache Zahl der Arbeitnehmer als Hartz-IV-Aufstocker verweist, die sehr häufig zu Niedrigstlöhnen als Arbeitnehmer tätig sind. (…) Bei der volkswirtschaftlichen Kreislaufbetrachtung wäre noch zwingend der durch Hartz IV subventionierte Niedriglohnsektor auf gleiche Negativeffekte zu prüfen.“