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Beliebt in Deutschland: Geschäftsmodell Ausbeutung

Als die beiden rumänischen Eisenflechter Petricá Suhaniea und Ionut Poamá-Neagrá am 15. Mai letzten Jahres nach schwerem Tagwerk ihren Feierabend genießen wollen, wundern sie sich nicht schlecht. Sie kehren müde in ihre Unterkunft in Frankfurt-Griesheim zurück, und dort eröffnet ihnen ihre Vermieterin, dass sie ihre Zimmer räumen müssen. Weil ihr Arbeitsgeber die Miete nicht mehr bezahlt hatte, sollen die beiden das Wohnheim, in dem rund 1.500 mobile Arbeiter aus Ost- und Südosteuropa leben, noch bis 20 Uhr verlassen.

Der Fall der beiden rumänischen Wanderarbeiter, von dem die Zeitschrift »Mitbestimmung« (Ausgabe 07/2015) im vergangenen Jahr berichtete, weist auf eine Entwicklung am deutschen Arbeitsmarkt hin, bei der vor allem Arbeiter aus osteuropäischen Ländern einem Lohn- und Sozialdumping ausgesetzt sind, das längst überwunden schien. Der 32-jährige Suhaniea und sein 27-jähriger Kollege erzählten dem Bericht zufolge, dass sie schon vorher Lohnabschläge nicht oder nur verspätet bekamen. Als sie nach dem Rauswurf aus der Unterkunft mit weiteren betroffenen Kollegen – insgesamt 300 – die Geschäftsführung zur Rede stellen wollen, müssen sie feststellen, dass diese sich mit sämtlichen Geldern abgesetzt hatte.

»Faire Mobilität« hilft osteuropäischen Wanderarbeitern

Obdachlos und ohne Geld fanden sie beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) die erforderliche Hilfe. Mit Partnern hatte dieser bereits 2011 ein Modellprojekt unter dem Namen »Faire Mobilität« gegründet und in Stuttgart, München, Frankfurt/Main, Hamburg, Dortmund und Berlin Beratungsstellen für »mobile Beschäftigte« eröffnet. Deren Beraterinnen und Berater haben zum großen Teil selbst Wurzeln in Osteuropa, und die Kombination aus arbeitsrechtlichen Fachwissen und der Kenntnis von Sprache und Kultur der Hilfesuchenden ist anderswo kaum zu finden.

Jedes Jahr suchen mehrere Tausend die Beratungsstellen auf und immer geht es vornehmlich um vorenthaltenen Lohn. In der Studie »Geschäftsmodell Ausbeutung« der Friedrich-Ebert-Stiftung von April 2015 heißt es, dass im Jahr 2014 rund 6.000 Personen Rat bei »Faire Mobilität« suchten, »vor allem Rumänen, Bulgaren, Polen und Ungarn«. In rund 40 Prozent der Fälle sei es darum gegangen, dass Löhne nicht gezahlt wurden, und in 20 Prozent der Fälle ging es um Fragen rund um die Arbeitsverträge.

Suhaniea und Poamá-Neagra hatten mit ihrer Entscheidung, sich an die »Faire Mobilität« zu wenden, Glück. Diese bezog von Anfang an die Medien aktiv in den Protest ein, und so war es ihr innerhalb von zwei Wochen gelungen, die Generalunternehmer der betroffenen Baustellen in Haftung zu nehmen und sich die Summe der vorenthaltenen Löhne auszahlen zu lassen. Aber wie immer dürfte die Zahl derer, die keine Hilfe in Anspruch nehmen und die widrigen Bedingungen erdulden, deutlich größer sein.

Bei Ausbeutung werden Unternehmer kreativ

Die Friedrich-Ebert-Stiftung stellt in ihrer Studie fest, »dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit in vielen Branchen reibungslos funktionieren und ein großer Teil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus Mittel- und Osteuropa unter ähnlichen Bedingungen wie andere Beschäftigte in Deutschland arbeitet, pünktlich den ihnen zustehenden Lohn bekommt und von den gesetzlich geregelten Arbeitsbedingungen profitiert«. Allerdings würden Arbeitgeber und Arbeitsvermittler viel Energie und Fantasie investieren, »um mobile Beschäftigte aus Niedriglohnländern oder aus Ländern mit sehr hoher Arbeitslosigkeit systematisch auszubeuten und zu teilweise unsäglichen Bedingungen zu beschäftigen«, so dass die Schattenbereiche im Arbeitsmarkt größer werden. Und die Betroffenen stehen dem oftmals hilflos gegenüber, weil sie auf den spärlichen Verdienst angewiesen sind, kein Deutsch sprechen können und sich kaum mit dem deutschen Arbeitsrecht auskennen.

Betroffen ist nicht nur der Bausektor wie im geschilderten Beispiel der beiden rumänischen Wanderarbeiter. Besonders anfällig seien unter anderem auch noch die Branchen Gebäudereinigung, Schlachtindustrie, Pflege, Transport und Logistik, industrielle Dienstleistungen sowie Autozulieferer, heißt es in der Studie. In manchen Branchen gliederten Unternehmen ganze Gewerke dauerhaft an Werkvertragsfirmen aus. Dadurch sei ein Wettbewerb der Fremdfirmen um Aufträge entstanden, »der auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird und zu nur sehr niedrigen Löhnen führt«.

Arbeitsbedingungen grenzen an Sklaverei

Auch wenn die Beschäftigungsformen teilweise Arbeits- und Lohnbedingungen mit sich bringen, »die an Sklaverei grenzen«, seien sie legal. Die Menschen würden formell korrekt aus ihrem Heimatland entsandt, doch »ihre Vermittler, Arbeit- und Auftraggeber im In- und Ausland« würde alle verfügbaren rechtlichen Winkelzüge und Schlupflöcher nutzen, »um möglichst wenig Geld an die Beschäftigten zahlen zu müssen und umgekehrt durch deren Arbeitskraft so viel wie möglich selbst zu verdienen«.

So berichtete das Gewerkschaftsmagazin »Gegenblende« im März von mehreren bulgarischen Zimmermädchen in München. Sie hatten alle offiziell einen befristeten Teilzeitarbeitsvertrag, aber sie wurden nicht nach Stunden, sondern nach gereinigten Zimmern vergütet. Auch die vereinbarte Arbeitszeit von 30 Stunden in der Woche konnten sie nie einhalten, weil sie erst dann Feierabend machen durften, wenn alle Zimmer gereinigt waren. Für einen Monatsverdienst von nicht mehr als 1000 Euro netto mussten sie »bis zu 500, einmal sogar 700 Zimmer im Monat reinigen«. Weil das Geld aber nicht zum Leben reichte, waren alle auf einen Nebenjob angewiesen.

Ausbeutung als Geschäftsmodell in Deutschland

In Deutschland sei diese Form der Ausbeutung zu einem guten Geschäftsmodell geworden, heißt es bei der Friedrich-Ebert-Stiftung weiter, und es lohne sich selbst in den Fällen, in denen sich die Arbeitgeber wegen der systematischen Unterschlagung von Löhnen vor einem deutschen Arbeitsgericht verantworten müssen. Üblicherweise enden diese Verfahren mit einem Vergleich und »der Lohnbetrüger muss erheblich weniger Geld an den Arbeitnehmer zahlen, als er es bei einer korrekten monatlichen Entlohnung hätte tun müssen«.

Und der Staat hält sich bei diesem Geschehen abseits, denn er hält systematischen Lohnbetrug »in der Regel als Privatproblem des einzelnen Arbeitnehmers«. Zudem gebe es keine zentrale Stelle, an die sich ausländische Beschäftigte in Deutschland mit Beschwerden gegen ihre Auftraggeber wenden könnten, und Kontrollbehörden seien »unterbesetzt, wenig präsent und wenn sie Betriebe überprüfen, haben sie in erster Linie den Auftrag, entgangene Sozialabgaben und Steuern für den deutschen Staat einzutreiben«.

Petricá Suhaniea und Ionut Poamá-Neagrá hatten Glück, nicht nur weil die »Faire Mobilität« sie in ihrem Kampf unterstützt hat; sie hatten Glück, weil ein derartiges Modellprojekt überhaupt gab. Osteuropäischen Arbeitern, die künftig in der Bundesrepublik Arbeit annehmen, könnte dieses allerdings versagt bleiben, denn die Finanzierung von »Faire Mobilität« läuft im Juli dieses Jahres aus. Ob es eine Verlängerung oder eine Neuauflage gibt, ist derzeit noch nicht klar.

Zuerst veröffentlicht in überarbeiteter Version in: Junge Welt vom 27.04.2016

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