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Ganz oben. Wie Deutschlands Millionäre wirklich leben

Christian Rickens: Ganz oben. Wie Deutschlands Millionäre wirklich leben, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten

Literatur über die Armut in unserem Land gibt es wie Sand am Meer und ist kaum noch zu überblicken. Über die Reichen und Superreichen gibt es dagegen nur wenig zu erfahren. Erinnert sei an Thorstein Veblens Untersuchung „Theorie der feinen Leute“, die das Leben der reichen Leute zu erklären versuchte; aber schon sehr betagt ist. Christian Rickens versucht mit seinem Buch zwar keine philosophische oder ökonomische Erklärung der „feinen Leute“ zu geben, bringt uns dem Leben der Reichen von heute etwas näher.

Die Reichen in unserem Land konzentrieren immer größere Vermögen in ihren Händen, hat auch das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) in diesem Jahr festgestellt. 2009 lebten etwa 860.000 Millionäre in Deutschland und etwa genau so viele Obdachlose (S. 40). Rickens betont aber, dass es bei der Reichtumsfeststellung große Ungereimtheiten gäbe:

„Weil selbst genutzte Immobilien nicht berücksichtigt werden, würden selbst die Besitzer und Bewohner einer Millionen teuren Prachtvilla an Hamburgs Außenalster nicht ohne Weiteres als high net worth individual durchgehen. Anders als sein Nachbar, der die Villa nur gemietet und sein Geld auf der Bank liegen hat. Eine weitere Ungereimtheit: Wer sein Vermögen in Lebensversicherungen anlegt oder gar in die staatliche Rentenversicherung einzahlt, hat es schwerer, beim World Welth Report den Millionärsstatus zu erreichen, als der Freiberufler, der seine gesamte Altersvorsorge auf seinem Aktiendepot aufbaut. Denn nur solche liquiden Anlageformen fließen in die Vermögensberechnung ein.“ (S. 39 – 40)

Ist dieser Reichtum legitim? Die Millionäre meinen Ja. Selbst wer sein ganzes Vermögen nur ererbt hätte, sähe seinen Wohlstand als völlig legitim an. „Man habe sich das Erbe quasi nachträglich verdient, weil man es bewahrt habe, und zwar mit mehr persönlichem Einsatz und Erfolg, als es andere vollbracht hätten.“ (S. 55) In Deutschland würde man in den allermeisten Fällen als Unternehmer oder Freiberufler zum Millionär oder als Erbe. Nur etwa acht Prozent von ihnen gaben bei Umfragen an, abhängige Erwerbstätigkeit sei die wichtigste Quelle ihres Reichtums. 30 Prozent hätten das Vermögen geerbt oder geschenkt bekommen und 6,5 Prozent hätten einen reichen Partner geheiratet.

Reiche sind anders als die normale Bevölkerung. Zu diesem Ergebnis käme Melanie Kramer, Soziologin am Lehrstuhl von Professor Lauterbach in Potsdam. Sie seien weniger neurotisch, als psychisch und emotional stabiler. Außerdem seien sie häufiger extravertiert, gesellig und gern unter Menschen. Genauso seien sie offener für neue Erfahrungen, wissbegierig und tolerant. Dagegen seien sie weniger verträglich und würden keine Konflikte scheuen. Besonders deutlichen würden die Charakterunterschiede bei den Reichen auffallen, die selbst aus der Mittelschicht aufgestiegen sind. Doch auch reiche Erben würden diese Charaktermerkmale aufweisen, was darauf hindeutet: „In einem Oberschicht-Elternhaus aufzuwachsen fördert bestimmte Charaktermerkmale. […] Wer am oberen Ende der Gesellschaft aufwächst, erfährt in seiner Jugend ja nicht nur materielle Privilegien. Er wächst auch in einer Umgebung auf, die ihm und seiner Familie Respekt entgegenbringt, bisweilen sogar Unterwürfigkeit. Da fällt es vergleichsweise leicht, sich auf andere Menschen einzulassen. Und wer von klein auf erlebt, dass die Eltern in ihrer Firma selbstverständlich Anweisungen erteilen, die ebenso selbstverständlich befolgt werden, der wird auch im eigenen Leben keine Probleme haben, anderen Menschen Anweisungen zu erteilen.“ (S. 76 – 77)

Reiche stiften gern einen Teil ihres Vermögens. Rund 17.000 Stiftungen gibt es mittlerweile in Deutschland und jedes Jahr kämen etwa 1.000 neue hinzu. Weil das Mindestkapital für eine Stiftung normalerweise 50.000 Euro beträgt, wäre dieser Stiftungsboom ein Oberschichtsphänomen. Dennoch spende der Reiche nicht wesentlich mehr (0,18 Prozent des Vermögens) als der durchschnittliche Deutsche (0,12 Prozent). „Doch der unzweifelhaft gute Zweck, den die meisten Stiftungen verfolgen, verstellt bisweilen den Blick darauf, dass Stiftungen zugleich auch eine ganze Reihe von anderen Funktionen erfüllen: Sie dienen als gesellschaftliches Machtinstrument, als Werbekanal der eigenen Firma, als Netzwerk-Plattform der Oberschicht oder schlicht als steuerbegünstigter Weg für Millionäre, um ihren Hobbys oder ihrem Narzissmus zu frönen.“ (S. 90) „[…] es geht vor allem um jene 90 Prozent aller deutschen Stiftungen, die das Siegel der Gemeinnützigkeit tragen und erhebliche steuerliche Privilegien genießen. Zuwendungen an diese Stiftungen sind von der Erbschafts- und Schenkungssteuer befreit. Seit 2007 können Zuwendungen an Stiftungen bis zur Höhe von einer Million Euro pro Jahr sogar von der Einkommenssteuer des Stifters oder Spenders abgesetzt werden. Zuvor hatte die seit 200 gültige Grenze bei 307000 Euro gelegen, was dazu geführt hatte, dass auffallend viele Stiftungen mit einem krummen Anfangskapital von exakt 307000 Euro ausgestattet wurden. Stifter mögen großzügig sein – aber noch lieber sparen sie offenbar Steuern.“ (S. 91)

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