Einwanderungsland Deutschland selektiert. Nur verwertbare Arbeitskräfte dürfen rein

Deutschland hat sich zum beliebten Einwanderungsland gemausert. Im vergangenen Jahr lag die Bundesrepublik im internationalen Vergleich an zweiter Stelle – gleich hinter den USA. Es blieben 400 000 Menschen mehr als wieder weggingen. Doch der Bundesregierung sind nicht alle willkommen.

Sie hat einen neuen Gesetzentwurf zur Diskussion gestellt. Mit diesem soll verhindert werden, dass zu viele Menschen aus ärmeren europäischen Ländern einwandern. Nur wer arbeitet, darf in Zukunft in Deutschland bleiben. Sechs Monate haben EU-Bürger zukünftig Zeit, sich eine Arbeit zu suchen. Wer das im vorgegebenen Zeitraum nicht schafft, wird nicht mehr vom Sozialsystem gestützt.  Es sei denn, sie haben die begründete Aussicht, eingestellt zu werden, und können dies auch nachweisen.

Hintergrund ist die Diskussion um die angebliche Einwanderung in das deutsche Sozialsystem. Sie flammte wieder auf, nachdem Anfang des Jahres für Rumänen und Bulgaren die volle EU-Freizügigkeit in Kraft getreten ist. Die EU-Kommission hatte außerdem gefordert, dass Zuwanderer aus der Europäischen Union ohne Arbeit nicht pauschal von den Sozialleistungen ausgenommen werden sollen, was in der CDU scharfe Reaktionen ausgelöst hat. Die Christdemokraten werfen der Kommission vor, Zuwanderung aus ärmeren Staaten in das deutsche Sozialsystem zu fördern.

Christine Langenfeld, Jura-Professorin und Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) widerspricht diesem Vorwurf. „Wanderung in die Sozialsysteme” aus osteuropäischen EU-Ländern sei ein „medial überschätztes Phänomen”. Tatsächlich stieg die Quote der erwerbstätigen Migranten an. Gingen 2009 rund zwei Drittel einer Beschäftigung nach, war 2012 ein Anstieg von drei Prozent zu verzeichnen. Damit lag die Quote nur knapp unter der der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Der Anteil der Hochqualifizierten ist besonders hoch. Mit 34 Prozent ist er höher als unter der im Inland geborenen Bevölkerung.

Obwohl die Mehrheit der Einwanderer wegen einer Arbeit nach Deutschland kommen, klagen Städte wie Duisburg, Dortmund oder Mannheim bereits über eine starke Belastung durch „Armutsmigration”. So stellte sich auch der Deutsche Städtetag hinter die Pläne von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), denjenigen die Einreise nach Deutschland zu verweigern, die des Missbrauchs des Sozialsystems beschuldigt werden. Missbrauch sei aber nicht das Kernproblem der Städte, sagte Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Städtetags. Es sei wichtiger, dass den Städten geholfen werde, in denen sich die Probleme mit Armutszuwanderungen ballen.

Das Vorgehen der Bundesregierung bekommt Rückendeckung aus Brüssel. Melchior Wathelet, Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist der Meinung, Deutschland dürfe auch zukünftig Einwanderern aus EU-Staaten Sozialleistungen vorenthalten, wenn sie nur nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu beziehen. Und die Stimme des Generalanwalts hat Gewicht. In der Regel folgt der Gerichtshof seinem Plädoyer. Ebenso gestattet eine Direktive aus Brüssel zum Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt, Unionsbürgern ungleich zu behandeln, wenn sie sich länger als drei Monate in einem anderen Mitgliedsland aufhalten und auf Sozialleistungen angewiesen wären.

Christine Langenfeld meint, es kommen viel zu wenig Migranten und fordert eine Gesamtstrategie, einen nationalen „Aktionsplan Migration”. Nur so könne das gesamte Potenzial der Zuwanderung – von den Fachkräften aus der EU und an Drittstaaten über Saisonkräfte und Geringqualifizierte bis hin zu ausländischen Studenten – genutzt werden. Für andere sei die Freizügigkeit der Europäischen Union ohnehin nie gedacht gewesen.

 

Zuerst veröffentlicht in: Unsere Zeit, 30.05.2014