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Die Deutschlandakte. Ein Buch über die deutsche Demokratie

In der politischen Bildung lernt man, die DDR war nicht demokratisch. Die Bürger hatten keine Möglichkeit, die Politiker auszusuchen; sie wurden ihnen von der SED vorgesetzt. Man lernt, dass es keine unabhängige Rechtsprechung gab. Es gab keine unabhängigen Medien und keine unabhängige Wissenschaft. Das alles mag stimmen. Was wäre aber, wenn man all das auch vom politischen System der BRD sagen könnte?

Hans Herbert von Arnim, Professor für Steuer- und Finanzrecht, hat in diesem Jahr sein neues Buch vorgestellt: „Die Deutschlandakte. Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun“. Es ist nicht das einzige seiner Bücher über das deutsche politische System. Viele hat er geschrieben und die meisten haben für große Aufregung gesorgt, weil sie Mißstände schonungslos aufzeigen. Unbeabsichtigt zeichnet er dem Leser ein Bild vom politischen System Deutschlands, dass Zweifel aufkommen läßt, ob man in Deutschland eigentlich noch in einer Demokratie lebt. Es ist unbeabsichtigt, weil sich von Arnim zur Demokratie bekennt und das deutsche politische System lediglich für nur reformbedürftig hält.

Er fängt an mit der Legitimation des politischen Systems, also mit der Verfassung, und vertritt die Meinung, dass eine wirkliche demokratische Verfassung die Zustimmung des Volkes genießen muss. Das Grundgesetz der BRD wurde aber ohne Zustimmung inkraftgesetzt und hat den Stempel der drei westlichen Besatzungsmächte aufgedrückt bekommen. Das Grundgesetz wurde nicht gemeinsam mit dem Volk diskutiert; das Volk wurde von der Diskussion ausgeschlossen und hatte keine Möglichkeit der Einflußnahme.

Die Parteien zeigt er, sind die eigentlichen Entscheidungsträger in der Gesellschaft. Die Bevölkerung kann zwar alle paar Jahre wählen gehen, hat aber effektiv keinen Einfluß auf die Kandidatenauswahl.  Die Entscheidung, wer wo zur Wahl antritt, treffen die Parteien intern. Ist ein Politiker beim Volk unbeliebt und besteht die Möglichkeit, dass er nicht mehr direkt gewählt wird, wird der Politiker einfach auf einen sicheren Listenplatz gesetzt und wird auf diesem Wege doch wieder in die Volksvertretung gewählt.

Die verschiedenen Ebenen des politischen Systems sind auf verschiedene Art und Weise miteinander verflochten, so dass keine eindeutigen Verantwortlichkeiten festgestellt werden könne. Wer kann schon dafür verantwortlich gemacht werden, wenn eine Partei im Bundestag einem Gesetz zustimmt, aber es im Bundesrat ablehnt?

„Das deutsche Problem besteht darin, dass die fünf staatlichen Ebenen untereinander vielfach verflochten sind. Das treibt die Unübersichtlichkeit auf die Spitze und macht dem Wähler die Orientierung praktisch unmöglich. Woher soll er – angesichts des verschachtelten Kompetenzwirrwarrs – noch wissen, welche Ebene für welche Themen zuständig sind? Die sogenannte Förderalismusreform von 2006 hat daran nichts Wesentliches geändert.
Zudem haben wir ein Wahlrecht, das die Zurechenbarkeit erst recht erschwert. In Deutschland kommen Regierungen – aufgrund des vorherrschenden Verhältniswahlrechts – fast immer nur durch Koalitionen von zwei oder mehr Parteien zustande. Regierungswechsel erfolgen meist nicht durch Wahlen, sondern durch neue Koalitionen. Koalitionsabsprachen werden aber erst nach der Wahl, hinter dem Rücken der Wähler, getroffen, der dann keinen Einfluss mehr darauf hat, wer die Regierung bildet.“

Wird eine Partei bei einer Wahl wegen schlechter Politik abgestraft, heißt es nicht, sie muss in die Opposition gehen. Sie kann sich einen neuen Koalitionspartner suchen und kann weiter regieren. Das demokratische Minimum, dass ein Volk einen schlechten Herrscher wieder loswerden kann, gibt es nicht.

Von Arnim zeigt, dass von einer unabhängigen Justiz nicht die Rede sein kann. Richter des Bundesverfassungsgerichtes und anderer Gerichte werden von den herrschenden Parteien ausgewählt und eingesetzt. Staatsanwälte sind weisungsgebunden und müssen ihren Vorgesetzten gehorchen. Dadurch werden sie abhängig von der Politik, da letztlich der Justizminister das Sagen hat. In der Wissenschaft hat auch oft nur der Erfolg, der „herausfindet“, was opportun ist, was die Politik oder die Wirtschaft hören möchte. Medien, ob öffentlich-rechtlich oder privat, sind auch nicht unabhängig. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern haben auch Parteienvertreter das Sagen und im privaten Sektor sind es die Eigentümer, die letztendlich über die inhaltliche Ausrichtung entscheiden. Auch wenn es oft keine offiziellen Verbote oder Weisungen gibt, hat das, was man political correctness nennt, den Effekt, dass bestimmte Fragen nicht gestellt, bestimmte Vergleiche nicht angestellt und bestimmte Lösungen nicht benannt werden.

„Doch die herrschende Ideologie hat auch bei uns in den Köpfen der Menschen politisch-gesellschaftliche Barrieren errichtet, die die Freiheit kaum weniger massiv einschränken können. Die Vorab-Tabuisierung bestimmter Fragen erscheint bisweilen wirksamer als gesetzliche Verbote, die den verfassungsrechtlichen Freiheiten des Denkens, der Meinungsäußerung und des Handels offen widersprechen würden. Diese mentalen Barrieren lassen sich in dem Begriff ‚politische Korrektheit‘ zusammenfassen. Unter diesem Deckmantel werden vielfach wichtige Themen von Demokratie, Wirtschaft und Gesellschaft ausgespart. ‚Darüber spricht man nicht, zumindest nicht öffentlich‘, lautet vielfach die Devise, die von einem stillschweigenden Komment bestimmten Kreise getragen wird. Wer dagegen verstößt, riskiert Isolation und gesellschaftliche Ächtung. […]
Dabei geht die innere Zensur der Political Correctness eine unheilige Allianz mit den Belangen der Mächtigen ein, indem sie unliebsame, die Funktionsweise von Politik und Wirtschaft betreffende Fragen gar nicht erst zuläßt, obwohl gerade sie die Menschen zutiefst beunruhigen. Dieser Effekt wird verschärft, weil auch viele Journalisten ganz gezielt nicht das zur Debatte stellen, was die Gesellschaft bewegt, sondern das, was die Gesellschaft ihrer Meinung nach bewegen sollte.“

Beim Lesen dieses Buches stellt man unweigerlich einen Vergleich mit dem an, was man über die DDR gelernt hat, und genauso unweigerlich stellt sich einem die Frage, ob dieses „freiheitlich-demokratische“ System sich wirklich so sehr vom politischen System der DDR unterscheidet.
Es ist nicht das erste Buch von Hans Herbert von Arnim, das massive Kritik am politischen System äußert. Doch trotz der vielen angeführten Kritikpunkte, muss man mit den Schlüssen, die von Arnim daraus zieht, und seinen Vorschlägen vorsichtig sein. Teilweise tragen sie in sich die Tendenz, das Gegenteil von dem Beabsichtigten zu erreichen. Z.B. schlägt er vor, dass Politiker erst eine bestimmte Schulung durchlaufen müßten, damit sie qualifiziert sind, Politiker zu sein. Das führt aber dazu, dass das Recht des Volkes noch weiter eingeschränkt wird, zu wählen, wen das Volk wirklich will. Die Pluralität des politischen Systems wird damit auch infrage gestellt.

Teilweise ist von Arnim sehr inkonsequent. Er erkennt an, dass die Konzerne zum großen Teil die Politik bestimmen. Ein Prozent der deutschen Unternehmen produziert etwa 60 Prozent der Umsätze der deutschen Wirtschaft. Und dieses eine Prozent der Unternehmen hat aufgrund seiner wirtschaftlichen Macht auch wesentlich mehr Einfluß auf die Politik. Aber statt anzukennen, dass diese großen Unternehmen aufgrund der Marktwirtschaft entstanden sind, geißelt er ihre Stellung, weil sie die viel gepriesene Marktwirtschaft außer Kraft setzen. Schon vor einhundert Jahren haben Wissenschaftler den Entstehungsprozeß dieser Konzerne untersucht und ihre fatalen Folgen für eine Demokratie erkannt, aber eben diese wissenschaftlichen Erkenntnisse sind seit etwa 22 Jahren nicht mehr politisch korrekt. Denn diese Ergebnisse zeigen, dass die Lösung des Demokratieverfalls nicht darin besteht, zum kleinen Unternehmertum zurück zu kehren, sondern diese Unternehmen zu vergesellschaften und damit zu demokratisieren.

In Hinsicht auf Aspekte der deutschen Geschichte, ist die Position von von Armin problematisch. 1945, nachdem Deutschland vom Hitlerfaschismus befreit wurde, beschlossen die Siegermächte im Potsdamer Abkommen, dass die Grundlage des Faschismus in Deutschland beseitigt werden sollte. Dazu wurde beschlossen, die Schlüsselindustrien zu verstaatlichen und den Großgrundbesitz zu beseitigen. In der sowjetischen Besatzungszone wurde dieser Beschluß konsequent umgesetzt, während man in den anderen Zonen alles beim Alten beließ. Es gibt viele Untersuchungen darüber, welchen Anteil am Faschismus Großindustrie und –grundbesitz hatten; von Arnim kennt scheinbar keine, denn sonst würde er nicht fordern, dass die Maßnahmen in der SBZ rückgängig zu machen sind. Man kann zwar nicht soweit gehen, von Arnim eine Nähe zum Faschismus zu unterstellen, aber diese Forderung wird in Deutschland besonders von  konservativen Kreisen vertreten, die bestrebt sind, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges zu beseitigen.

Auch wenn es manches an dem Buch zu kritisieren gibt, man manches ablehnen muss, sollte dieses Buch zur Pflichtlektüre eines Jeden politisch Interessierten gehören. Wer etwas über die deutsche „Demokratie“ erfahren möchte und sich nicht mit der offizielle politische Bildung begnügen möchte, sollte dieses Buch auf jeden Fall lesen.

Hans Herbert von Arnim: Die Deutschlandakte. Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun, 368 Seiten, 9,95 Euro

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