Rund 6000 Menschen aus Deutschland und anderen Ländern Europas haben am Samstag im rheinischen Kohlerevier mit einer 7,5 Kilometer langen Menschenkette für einen schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung und für die Klimaabgabe von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) demonstriert.
Am selben Tag hatte auch die Bergbaugewerkschaft IG BCE gemeinsam mit Verdi nach Berlin mobilisiert, um ein Zeichen gegen die Klimaabgabe zu setzen. Dem Aufruf sind nach Gewerkschaftsangaben etwa 15000 Menschen aus dem Lausitzer und dem rheinischen Kohlerevier gefolgt.
Mit der Demonstration in Berlin erreichte die Kampagne der Kohlelobby ihren Höhepunkt. Schon am Donnerstag wurden in Cottbus mehrere prominente Gebäude und Plätze in der Innenstadt in grellem Rot angestrahlt wurden. Der Lobby-Verein „Pro Lausitzer Braunkohle“ wollte mit dieser Aktion deutlich machen, was der Lausitz verloren geht, wenn der Kohlebergbau stillgelegt würde. Für kommenden Dienstag sind die Bewohner des Brandenburger Städtchens Spremberg aufgerufen, ihre Stimme für die Kohle zu erheben. In Spremberg ist das Kraftwerk Schwarze Pumpe beheimatet.
Es sei ein Kampf um die Bilder, erklärte Frank Heinze, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Vattenfall Europe Generation AG in einem Zeitungsinterview. Man wolle den Kohlegegnern nicht das öffentliche Bild überlassen.
Der Druck der Kohlelobby wirkt. Nach Angaben des Handelsblatts heißt es aus der SPD, man suche einen „gesichtswahrenden Ausweg für Gabriel“. So soll noch einmal durchgerechnet werden, wie sich die Klimaabgabe auf die Stromkonzerne auswirkt – von den Wirtschaftsprüfern der Unternehmen selbst. Energie-Staatssekretär Rainer Baake gab zudem in Berlin bekannt, dass nun die tatsächliche Höhe der Klimaabgabe an die Preise an der Strombörse gekoppelt werden sollen.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte vor einigen Wochen Pläne vorgestellt, wie die Bundesrepublik ihr Klimaschutzziel bis 2020 doch noch erreichen kann. Bis 2020 soll der Ausstoß von Kohlendioxid um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 reduziert werden. Dieses Vorhaben droht aber zu scheitern, wenn nicht die Energiewirtschaft einen zusätzlichen Beitrag leistet, wusste die Bundesregierung schon im letzten Jahr. Klimastaatssekretär Jochen Flassbarth äußerte im November letzten Jahres, dass einige der ältesten Braun- und Steinkohlekraftwerke vom Netz gehen müssten, um das Ziel zu erreichen. Allerdings sprach sich Gabriel gegen direkte staatliche Eingriffe aus. Welche Kraftwerke vom Netz gehen, solle die Wirtschaft und nicht der Staat entscheiden.
Bisher hatte die Bundesregierung auf die Kräfte des Marktes gesetzt. Mittels Emissionshandel sollte der Preis für jede Tonne ausgestoßenem Kohlendioxid stetig steigen und die Kraftwerksbetreiber zu Investitionen in moderne Technologien angeregt werden. Aber der Emissionshandel liegt seit Jahren am Boden und eine Reform wird nach Regierungsangaben voraussichtlich erst 2021 möglich. Deshalb will Gabriel nun vorübergehend ein nationales Instrument einführen, dass den Ausstoß von CO2 verteuert – ähnlich wie in Großbritannien, wo ein Mindestpreis für jede Tonne ausgestoßenem Kohlendioxid eingeführt wurde.
Das Instrument ist allerdings so gestaltet, dass 90 Prozent der Kraftwerke überhaupt nicht betroffen sind, schreibt das Wirtschaftsministerium. Deutschland bleibe auch weiterhin Netto-Exporteur von Strom, heißt es in einem Arbeitspapier. Ziel sei es aber, vor allem alte und besonders ineffiziente Kraftwerke zu treffen, und das dürfte die Betreiber besonders verärgern. Weil diese Anlagen schon längst abgeschrieben sind, fahren sie deutlich höhere Gewinne ein als neuere Anlagen.
Seit dem Vorstoß von Gabriel ist viel von Strukturbruch in ganzen Regionen die Rede. So warnte Verdi-Chef Frank Bsirske vor dem Verlust von 100.000 Jobs – eine Zahl, die selbst vom Branchenverband DEBRIV nicht geteilt wird. Dieser korrigierte die Zahl auf 40000. Auch das Umweltbundesamt geht davon aus, dass in der Braunkohle und einigen nachgelagerten Bereichen Jobs verloren gehen, allerdings nur von rund 4700. Dabei betonte das Amt, dass z.B. bei den Erdgaskraftwerken neue Arbeitsplätze entstehen werden.
Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) unkte, es werde mit der Klimaabgabe einer ganzen Region fristlos gekündigt. Dass nicht zu befürchten sei, dass die Kraftwerke durch die Abgabe unrentabel und stillgelegt würden, stellte die Grüne Liga Cottbus in einer Mitteilung heraus. So seien die Freibeträge für den Ausstoß von Kohlendioxid so bemessen, dass ein 21 Jahre altes Kraftwerk noch 7000 Stunden (292 Tage im Jahr) in Volllast arbeiten kann, ohne nur einen Cent der Abgabe zahlen zu müssen. Erst darüber hinausgehender CO2-Ausstoß wird mit der Abgabe belegt. Ein 40 Jahre altes Kraftwerk könne somit immer noch in 3000 Stunden in Volllast laufen, ohne die Abgabe zu zahlen.
In überarbeiteter Version wurde der Artikel zuerst in der jungen Welt veröffentlicht.