In der März/April-Ausgabe der us-amerikanischen Zeitschrift “Foreign Affairs” haben Robert D. Blackwill und Meghan L. O’Sullivan einen Artikel über die geopolitischen Konsequenzen der Schieferöl- und -gasförderung geschrieben. Die beiden ehemaligen Mitglieder des US-Sicherheitsrates unter George W. Bush sehen bereits ein neues Goldenes Zeitalter auf die USA zukommen, in dem diese zur neuen Energiesupermacht wird. Die herkömmlichen Energieproduzenten werden zunehemd unter Druck geraten und in Russland wird es einen “regime change”, einen Sturz von Wladimir Putin geben, so die Voraussage. Doch scheint der Essay mehr Propaganda als ernsthafte Analyse zu sein.
Wenn in den USA und in Kanada die Produktion von unkonventionellem Erdgas und -öl steigen, werde der Druck auf die europäischen und asiatischen Gaspreise steigen. Der Ölpreis könnte sogar um 20 Prozent fallen und die Vereinigung der erdölprodzierenden Staaten (OPEC) könne die Preise nicht mehr diktieren. Die Staaten, deren Haushalt weitgehend durch Einnahmen aus dem Verkauf von Energierohstoffen gefüllt wird, werden unter Stress geraten und zu Budgetkürzungen gezwungen sein. Das politische System in diesen Ländern könnte auf diesem Wege destabilisiert werden…
Ob die USA tatsächlich als größter Gewinner der neuen Entwicklung hervorgehen werden und ob sich dieses Land auch weiterhin als einzige Weltmacht behaupten kann, bleibt fraglich. Die realen Entwicklungen zeigen in eine andere Richtung.
So hat im letzten Jahr die Energiebehörde der USA (EIA) ihren “Energieversorgungsausblick für 2014 und danach” veröffentlicht. Sie kommt darin zu dem Schluss, dass bereits im Jahr 2016 der Höhepunkt der Förderung von unkonventionellem Öl erreicht sein wird. Ab 2020 werde die Produktion von konventionellem und unkonventionellem Öl wieder sinken. Auch die Internationale Energieagentur (IEA) stellte in ihrem “World Energy Outlook 2013” fest, dass die traditionellen Energielieferanten wohl nur für die nächsten zehn Jahre geschwächt würden. Durch den rasanten Anstieg des Energieverbrauchs würde diese ihre Rolle wieder zurückgewinnen.
Jetzt hat auch der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Josef Fell, eine Studie veröffentlicht, in der er zu dem Ergebnis kommt, dass eine Unabhängigkeit der Europäischen Union von russischem Erdgas nur mit einem massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien erreicht werden kann.
Fell geht davon aus, dass die russischen Erdgaslieferungen in den nächsten Jahren abnehmen werden und dass Russland seinen Kundenkreis ausdehnen wird. Russland werde in den nächsten Jahren seine Gasförderung nicht ausweiten können. Zur Sicherung bestehender Lieferverpflichtungen sei bereits 2007 ein Gasbezugsvertrag mit Turkmenistan geschlossen worden. Im Jahr 2012 habe Russland etwa 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas importiert, wovon 12 Milliarden Kubikmeter aus Kasachstan stammten und 10 Milliarden Kubikmeter aus Turkmenistan. Gleichzeitig würden Russland, Turkmenistan und Kasachstan große neue Gasförder- und -lieferstrukturen nach Fernost ausbauen. Die neuen Lieferwege- und volumina seien erheblich im Vergleich zu den Lieferungen in die EU. So habe Russland mit China bereits Gaskontrakte (über etwa 60 Milliarden Kubikmeter pro Jahr) in der Größenordnung von 50 Prozent der jährlichen Lieferungen nach Europa geschlossen. Da die neuen Verträge aber nicht mit neuen, zusätzlichen Gasmengen erfüllt werden könnten, bliebe nur, die Ausfuhr in die EU zu verringern.
Ähnlich sei es mit künftigen Lieferungen von Erdöl nach Europa.
Dem steht ein höherer Gasbedarf in der Europäischen Union gegenüber. 2012 wurden in der EU etwa 450 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbraucht. Die IEA geht davon aus, dass der jährliche Verbrauch der EU bis zum Jahr 2030 auf 540 Milliarden Kubikmeter anwachsen werde, was eine Steigerung von 20 Prozent entspricht.
So werde immer wieder vorgeschlagen, dass russische Erdgaslieferungen nach Europa verringert werden sollen durch die Erhöhung der Lieferungen aus anderen europäischen Ländern – allen voran Norwegen. Das sei aber nicht möglich, so Fell. Mit Ausnahme Norwegens sei die Gasförderung in allen europäischen Ländern zum Teil dramatisch rückläufig. Großbritannien hatte noch vor einem Jahrzehnt Pipelines für den Gasexport gebaut; heute dienen sie zum Import, weil sich die britische Gasförderung nicht so entwickelt hat, wie es Analysten voraussahen.
Norwegen habe seine Gasförderung in den letzten Jahren deutlich steigern können – auf 110 Milliarden Kubikmeter im Jahr. Doch die Gasförderung sei kurz vor dem Peak und wird in den nächsten Jahren nicht mehr gesteigert werden können.
In den USA habe eine Phase des Nachlassens von Fracking-Aktivitäten begonnen.
So standen den drastisch gestiegenen Ausgaben der Öl- und Gasfirmen für Exploration und Förderung in den letzten fünf Jahren gefallene Gas- und ebenfalls stagnierende oder leicht sinkende Ölpreise gegenüber, bei einer Reduktion der Fördermengen. Diese Situation wurde noch durch mangelnde Erfolge im Ölförderbereich erschwert. Aktionäre – insbesondere Renten-und Pensionsfonds –, die auf entsprechende Erträge angewiesen sind, haben erwirkt, dass 2014 die Ausgaben in unrentable Schiefergas- und Light Tight Oil (LTO)-Vorkommen drastisch reduziert werden. Das wird zu einem Förderrückgang auch der Schiefergas- und LTO-Fördermengen in den USA führen.
Es werde immer wieder argumentiert, die EU müsse mehr Regasifizierungskapazitäten bauen, damit mehr verflüssigtes Erdgas (LNG) nach Europa importiert werden könne. Dabei wird die vorhandene Kapazität noch gar nicht voll genutzt. Schon heute gibt es Terminals mit einer Jahreskapazität von 190 Milliarden Kubikmetern. Genutzt wurden dagegen 2013 nur ein Anteil von 45 Milliarden Kubikmetern. Es bräuchten keine neuen gebaut werden, sondern das Angebot müsste verbessert werden. Doch die USA können nur in begrenztem Umfang helfen.
Prognosen würden darauf hindeuten, dass die amerikanische Gasförderung in den nächsten 20 Jahren nicht aufrecht erhalten werden kann. Trotzd des Zuwachses an Schiefergas wird die gesamte Gasförderung in den USA zurückgehen. Die USA bleiben auch weiterhin ein Nettoimporteur von Gas und durch die rückläufige eigene Förderung wird die Importquote wieder steigen. 2012 lag der US-Verbrauch bei 722 Milliarden Kubikmetern, während die eigene Förderung nur bei 681 Milliarden Kubikmetern lag. Bis 2020, schätzt Fell, gehe die Gasförderung in den USA auf nur noch 400 bis 500 Milliarden Kubikmeter zurück.
Aus Nordamerika können in den kommenden Jahren keine nennenswerten Erdgaslieferungen erwartet werden, da auch die kanadische Gasförderung hauptsächlich in die USA exportiert wird.
Der einzige Raum, der in den nächsten Jahren die Erdgasförderung noch ausbauen könnte, sei der Mittlere Osten. Doch die Konkurrenz auf dem Weltmarkt bleibt um dieses Gas bestehen. Überall auf der Welt seien schon mehr Regasifizierungs- als Verflüssigungskapazitäten vorhanden. und seien deshalb nicht ausgelastet.